Sonntag, 3. September 2017

Finish

War das ein intensiver letzter Urlaubstag: In Teheran dem Taxifahrer den Weg zum Flughafen zeigen; in Athen den Sonnenaufgang fotografieren; in Mailand das Triennale-Museum besichtigen; im Frecciarossa-Businessabteil bei Tempo 300 einen Prosecco trinken. Fehlt nur noch das TV-Duell Merkel gegen Schulz nach der Ankunft in Bozen.

 
 

In etwa einer Stunde wird sich am Bahnhof Bozen nach 24 Tagen der Kreis schließen. Das soll es jetzt also gewesen sein. Vor dem Fenster ziehen die vertrauten Berge des Trentino vorbei. Ich sitze im Regionalexpress von Verona nach Bozen, der 17. und letzte Zug der Reise. Die vorangegangenen Züge hatten insgesamt 263 Minuten Verspätung, im Durchschnitt also 16 Minuten. Der Zug Belgrad-Sofia mit seinen 108 Minuten Verspätung hat die Statistik natürlich deutlich beeinflusst, aber auch so war die Bahn im Durchschnitt pünktlicher als die beiden Flugzeuge heute.

Neben zahlreichen (Klein-)Bussen sind wir in den vergangenen drei Woche mit fünf Schiffen (allesamt in Istanbul), sechs Seilbahnen (in Istanbul, Ankara, Batumi, Bakuriani, Tatev und Tbilisi) und zwei Standseilbahnen (Bakuriani, Baku) gefahren. U-Bahn gefahren bin ich in Istanbul, Ankara, Jerewan, Tbilisi, Baku, Teheran und Mailand; Straßenbahn nur in Istanbul und Mailand. Ich habe in den letzten 24 Tagen (von denen es übrigens an zehn Tagen irgendwann mal geregnet hat) 21 Kaffees, 14 Tees und 11 Biere getrunken. Ich habe sechs Museen und fünf Festungsanlagen besichtigt. Mit fünf Personen haben wir Kontaktdaten ausgetauscht, drei Mal wollte man ein Foto mit uns machen.

Von den 23 Übernachtungen haben wir sieben im Hostel, vier im Hotel, fünf im Guesthouse und eine privat (in Karadsch) verbracht; vier im Zug, eine im Bus und eine am Flughafen bzw. im Flugzeug. Insgesamt haben wir – Griechenland, wo wir warum auch immer den Transitbereich verlassen mussten, mitgerechnet – 13 verschiedene Länder bereist, in denen wir mit neun unterschiedlichen Währungen zahlen und sechs verschiedene Alphabete (lateinisch, kyrillisch, georgisch, armenisch, persisch, griechisch) lesen mussten.


Soweit der zum Scheitern verurteilte Versuch, diese einmalige Reise in Statistiken auszudrücken. Eine quantitative Auswertung ist hier nicht ausreichend. Da braucht es schon auch das Tagebuch und die Fotos. Und noch viel Zeit, bis man da alles verarbeitet haben wird.

Wir haben mit dem Balkan und dem Kaukasus zwei traditionell spannende Weltregionen bereist, die heute wieder genauso von den sie umgebenden Großmächten bzw. Regionalmächten beeinflusst werden, wie das eigentlich schon immer der Fall war. Der Iran übernimmt im Kaukasus die Rolle des einstigen Persischen Reiches; die Europäische Union übernimmt auf dem Balkan die Rolle Österreich-Ungarns; Russisches Zarenreich und Osmanisches Reich, die in beiden Regionen ihren Einfluss ausüb(t)en, bilden sich gerade neu. Der Vergleich Balkan – Kaukasus reizt mich irgendwie. Da werde ich sicher noch mehr zu lesen und vielleicht auch schreiben.

In den letzten Wochen habe ich viel über die Geschichte von Osmanischem Reich, Türkei und Armenien gelesen und gelernt. Habe mich insbesondere in Georgien oft an Russland erinnert gefühlt. War begeistert von der Gastfreundschaft in der Türkei, in Armenien und vor allem im Iran. Habe lecker gegessen und teilweise nicht ganz so lecker getrunken. Habe mich von grandiosen Landschaften begeistern und von engen, rasanten Kleinbussen ärgern lassen. Vor allem habe ich aber einmal mehr zu schätzen gelernt, wie gut es uns auf unserer westeuropäischen Wohlstandsinsel doch geht. Wie schön es doch ist, offene Grenzen, einen funktionierenden Nahverkehr und saubere Draufsitz-Toiletten zu haben. Und was für ein Wunder es doch ist, dass Deutschland so ein gutes Verhältnis zum ehemaligen Kriegsgegner Frankreich und auch zu Israel hat. Das würde man der Türkei und Armenien auch gönnen. Oder Russland und Georgien. Oder Armenien und Aserbaidschan. Die Europäische Union ist schlicht und ergreifend eine beeindruckende Errungenschaft, für die wir dankbar sein sollten und die wir unbedingt erhalten und ausbauen müssen – nicht zuletzt, damit sich Regionen wie der Kaukasus ein Beispiel daran nehmen können.
Mit dieser Feststellung kann ich das Tagebuch eigentlich beenden. Oder, um es mit den Worten der Kellnerin in Mestia zu sagen: „Finish“.

Teheran

Die letzte Nacht des Urlaubs haben wir bislang überwiegend damit verbracht, in Schlangen zu stehen. Erst in der Autoschlange vor dem Flughafenterminal, zu der wir den Taxifahrer dirigieren mussten, nachdem er zweimal eine falsche Ausfahrt genommen hatte; dann, um das Gesamtgepäck scannen zu lassen; dann am Check-In-Schalter; dann an der Passkontrolle; und schließlich nochmal, um erneut das Handgepäck scannen zu lassen. Jetzt sitzen wie vor Gate 23, wo irgendwann demnächst Aegean Airways A3949 nach Athen aufgerufen wird. Zeit, zurückzublicken auf drei wunderschöne Urlaubswochen. Und vor allem auf einen großartigen Tag in Teheran. Frühstück mit „unserer“ iranischen Familie, iranisches Nationalmuseum, Picknick im Park, Großer Basar, Milad Tower, einzigartiges Abendessen im Azari Traditional Teahouse. Wobei die Fahrten zwischen diesen einzelnen Standorten teilweise genauso spannend waren wie die Standorte selbst. Ich weiß jetzt, dass man in Teheran keinen Supermarkt aufsuchen muss, wenn man regelmäßig mit Vorortzug oder U-Bahn fährt – dort werden sämtliche Waren des kurz- und mittelfristigen Bedarfs lautstark angepriesen und im Mittelgang zum Verkauf angeboten. Und ich weiß jetzt, dass der Verkehr in Teheran tatsächlich anders funktioniert als anderswo. Schon im Bachelor-Studium hatten wir uns über Youtube-Videos von verkehrsreichen Kreuzungen in Teheran amüsiert, heute konnte ich vom Taxi-Beifahrersitz aus selbst Videos drehen – und immer mal wieder die Luft anhalten.


Was anfangs anmutet wie das reinste Chaos, hat aber irgendwie System. Es wird oft – sehr oft – mit wenigen Zentimetern Abstand aneinander vorbeigefahren; Kreisverkehre werden nicht umrundet, sondern nach links angeschnitten und dann nach Möglichkeit in der Richtung durchfahren, in die man ihn später verlassen wird; hupen bedeutet „ich fahr da jetzt vorbei“ und führt zu einer sofortigen Lenkradbewegung des Vordermanns (sonst würde es unweigerlich krachen) bzw. der Vorderfrau – ja, es gibt im Iran Frauen, die Auto fahren. So wie es entgegen einer Reiseführer-Behauptung auch Händchenhalten in der Öffentlichkeit gibt. Wer ein rückständiges, islamisches Land erleben will, der muss wohl nach Saudi-Arabien reisen – genau, das Land, gegen das wir Deutsche trotz haarsträubender Menschenrechtsverletzungen keine Sanktionen verhängen, sondern dem wir munter weiter Waffen verkaufen, mit denen es seine Nachbarländer terrorisieren kann.

Stichwort Sanktionen: Sowohl der Vorortzug als auch die U-Bahn, mit der wir gefahren sind, waren chinesische Produktionen. Und schon erkennt man, warum die deutschen Wirtschaftsverbände – Menschenrechtsverletzungen hin oder her – IMMER gegen Sanktionen argumentieren: weil sie sonst ruck-zuck Märkte an die Chinesen verlieren, die ihre (billigeren) Produkte völlig schmerzfrei nach überallhin verkaufen. Warum sollte Teheran seine nächste U-Bahngeneration bei Siemens kaufen, wenn man mit den chinesischen Zügen zufrieden ist?

Ich persönlich halte zumindest „unsere“ Sanktionen gegenüber dem Iran sowieso für einen geopolitisch motivierten Unsinn, unter dem die Zivilbevölkerung unnötigerweise leiden muss.
Aber zurück von der großen Politik in den engen Vorortzug: Da kam während der Fahrt ein schräg gegenüber sitzendes Mädchen mit Maulbeeren in der Hand zu uns und hat uns diese angeboten. Es war der Beginn einer wunderbaren Reisebekanntschaft, an deren Ende es ein schönes Gruppenfoto, getauschte Handynummern, eine Postkarte aus Büdingen für das kleine Mädchen und für uns ein von ihrem Bruder entworfenes Bild des zukünftigen Animations-Filmhelden Ali gab.



Es sollte nicht die letzte nette Begegnung des Tages gewesen sein. Teheran ist voll von netten Begegnungen. Da Soroosh uns alles übersetzen konnte, hatten wir natürlich deutlich mehr davon. Da ist zum Beispiel der Sänger der Band, die während unseres Abendessens traditionelle persische Musik gespielt hat. Wir saßen beim Abendessen direkt hinter (!) der Band auf einem Teppich und es gab immer wieder Gelegenheiten für einen kurzen Smalltalk. Nachdem Soroosh dem Sänger erklärt hatte, dass Arnika und ich aus Deutschland kommen, hat dieser das Publikum um einen Applaus für uns gebeten. Nach dem Konzert kam ein Zuhörer zu uns hinter die Bühne, um seine Dankbarkeit darüber auszudrücken, dass wir aus dem Land von Bach und Mozart bis in den Iran gereist sind, um die hiesige traditionelle Musik zu hören. Erst habe ich mich etwas perplex über die Aussage gefreut, dann fiel mir doch noch ein, dass Mozart ja eigentlich Österreicher ist.



Es gäbe noch so viel mehr zu berichten über den Tag in Teheran. Über die beeindruckend alten Vasen und Statuen im Nationalmuseum; über das endlose Lichtermeer, auf das man vom sechsthöchsten Turm der Welt blickt; über den Polizisten, von dem wir dachten, dass er uns befragen oder uns aufgrund unserer großen Rucksäcke aus dem Basar schmeißen will – der uns aber einfach nur den Weg zu einer besonders schönen Moschee beschrieben und uns einen Besuch dort ans Herz gelegt hat; über die spannenden Gespräche mit Soroosh und seiner Freundin, die uns den Iran besser erklären konnten als jeder Reise- oder Kulturführer. Aber mir fallen die Augen zu, ich muss Schluss machen.

Auch wenn ich morgen früh in Athen aufwache – Teheran wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Was für ein schöner Tag. Danke, Soroosh!



















Samstag, 2. September 2017

Iranische Gastfreundschaft

Die Wallnüsse und das Hühnchen mussten mindestens acht Stunden kochen. Auch Dolmus, also süß gewürztes Hackfleisch und Reis in Weintraubenblätter eingerollt, ist sehr aufwändig. Als Beilage gab es so Kleinigkeiten wie Salate, Safranreis und Yoghurt mit Kräutern. Als Vorspeise leckeres Obst und diverse leckere Süßigkeiten. Und kaum war die Nahrungsaufnahme abgeschlossen, wurde getanzt und gesungen. Tänze aus verschiedenen Landesteilen, wobei wir jeweils mitmachen mussten. Wahnsinn, wie viel Spaß man ohne Alkohol haben kann. Wahnsinn, wie gastfreundlich die Iraner sind. Soroosh und seine Familie haben uns gestern Abend überrascht und begeistert. Er ist Arnikas Nachmieter in Passau und gerade auf Heimaturlaub im Iran. Zum Glück.

Angefangen hat alles schon bei Dunkelheit irgendwo an der dicht befahrenen Autobahn, wo der Bus in eine Haltebucht ausgeschert ist, um uns rauszulassen. Das ist hoffentlich die Stelle, die Soroosh den anderen Mitreisenden telefonisch erklärt hat? Nicht dass wir hier irgendwo vor den Toren der Megacity Teheran neben der Autobahn verenden? Es ist die richtige Stelle: Soroosh und Arnika finden sich, er begleitet uns zum Auto, wo sein Vater schon auf uns wartet und wir fahren gemeinsam in ihre Wohnung. Die ersten Eindrücke von iranischem Stadtverkehr sind – spannend.

In der Tiefgarage angekommen steigen wir aus dem Auto und in den Aufzug. Gleich werden wir eine iranische Wohnung betreten und eine iranische Familie kennenlernen. Nach allem, was man vorher über den Iran gelesen hat, bin ich natürlich ein bisschen befangen und aufgeregt: Man sollte fremden Frauen nicht in die Augen schauen, sie nicht ansprechen und ihnen schon gar nicht die Hand reichen, bevor sie das ihrerseits anbieten. 

Diese wichtigen Regeln habe ich im Hinterkopf, als sich vor mir die Wohnungstür öffnet. Dahinter stehen mehrere junge, hübsche Frauen. Allesamt ohne Kopftuch. Wenige Sekunden später schwirren mir mehrere Namen im Kopf herum und ich habe mehrere weibliche iranische Hände geschüttelt. Alles bestens. Umsonst Sorgen gemacht. Welcome to Iran.

Zumindest ein Klischee wird erfüllt: dass nämlich die Männer auf der Couch sitzen, während die Frauen in der Küche die ganze Arbeit machen müssen. Der endgültige Beweis für das rückständige Frauenbild im Islam? Naja, wie wäre es denn bei unseren Eltern zu Hause bzw. wie war es bei unseren Großeltern? Eben. Die kulturellen Unterschiede verschwimmen im Laufe des Abends, die iranische Familie könnte genauso gut eine europäische Familie sein und würde sich mit unseren Familien vermutlich prächtig verstehen. Im Familien-Weltatlas zeigen wir, wo wir herkommen und welche Route wir auf unserer Reise gewählt haben. Die Familie amüsiert sich prächtig, als ich – mit dem Finger von rechts nach links die mir unbekannten persischen Buchstaben entlangfahrend – europäische Städtenamen „vorlese“.

Die anfängliche Befürchtung, etwas Falsches zu machen oder zu sagen weicht im Laufe des Abends dem Gefühl, von dieser wunderbaren Familie bereits adoptiert worden zu sein. Ich habe schon in mehreren Reiseländern eine beschämende Gastfreundschaft – beschämend, wenn man bedenkt, wie wir in Deutschland bzw. Südtirol mit Ausländern umgehen – erlebt, einen Abend wie diesen habe ich aber noch nie erlebt. Wir sind mehr als nur beeindruckt.

Die Gastfreundschaft gipfelt darin, dass eine Tochter der Familie im Wohnzimmer auf dem Boden schlafen muss, während wir ihr Zimmer okkupieren dürfen – und darin, dass Soroosh uns samt seiner Freundin den gesamten Folgetag lang durch Teheran begleiten und darauf bestehen wird, alles für uns zu zahlen. Was uns ein sehr schlechtes Gewissen, aber einen großartigen Urlaubs-Abschlusstag bescheren wird.


Freitag, 1. September 2017

Beobachtungen auf einer iranischen Autobahn

Die (mautpflichtige) Autobahn ist schon fertig, die parallel verlaufende Bahnstrecke ist noch in Bau. Zum ersten Mal seit Istanbul gibt es mal wieder ein richtig hohes Verkehrsaufkommen. Zugleich ist der Verkehr deutlich gesitteter als in den Kaukasusländern, auch die Taxis fahren deutlich langsamer. Der Pkw-Fuhrpark ist recht einheitlich und besteht überwiegend aus Peugeots und einem iranischen Einheitsfabrikat – auch hier machen sich die Sanktionen bemerkbar. Die Frauen tragen tatsächlich alle ein Kopftuch – dadurch erkennt man sehr schnell, wie viele Frauen in einem Auto sitzen. Meistens sitzen sie hinten. Die meisten Frauen sind sehr hübsch – eine weitere Parallele zur Türkei. In den Autos sitzen auch sehr viele Kinder, das geringe Durchschnittsalter der iranischen Bevölkerung fällt schon auf der Autobahn auf.

Der relativ dämliche Bollywood-Film beschallt (auf Englisch! Nur die Untertitel sind persisch) den ganzen Bus. Iraner müssen verdammt schnell lesen können, die Filmuntertitel wie auch Werbeschaltungen an Tankstellen wechseln sehr schnell. Die progressive Filmstory (Scheidung und so) und die Tatsache, dass die Schauspierinnen alle unverhüllt sind, hätte man im Iran vielleicht gar nicht erwartet. Morgen werden wir den Hauptdarsteller übrigens auf einem Werbeplakat wiedererkennen und erfahren, dass der Hauptdarsteller ein berühmter iranischer Schauspieler ist.

Das Kaspische Meer konnte mich nicht überzeugen, die Landschaft wurde erst spannender, als es Richtung Süden ins Gebirge ging.

Wie im Busbahnhof, so auch im Bus: WiFi steht zwar überall drauf, aber es ist nirgends drin.

Im Gegensatz zu Georgien und Armenien gibt es im Bus keine religiösen Symbole.

Mittlerweile hat der halbe Bus die Pflegeschaft für uns übernommen und setzt sich dafür ein, dass wir an der richtigen Stelle rausgelassen werden. Wir haben seit dem Grenzübertritt nach wie vor noch keinen anderen Touristen gesehen und müssen uns an unsere Rolle als Attraktion erst noch gewöhnen.




Endlich wieder in einem fortschrittlichen Land (Iran)

Ein richtiger Bus! Ein großer, langer Bus mit bequemen Sitzen und Klimatisierung. Und WIE bequem diese Sitze sind! Die bequemsten, auf denen ich je gesessen bin. Mit ewig viel Beinabstand. Und dann fährt der Bus auch noch auf einer richtigen Straße, ohne Löcher und ohne Kühe. Richtiger Bus und richtige Straße, beides hatten wir seit der Türkei nicht mehr. Wahnsinn, endlich wieder ein entwickeltes Land mit bequemen Verkehrsmitteln. Welcome to Iran!


Warum ist es so, dass die Infrastruktur in der Türkei und im Iran so viel besser ausgebaut ist als in den kleineren Ländern dazwischen?

Theorie 1: Der progressive Islam fördert Entwicklung einfach viel mehr als das rückständige Christentum, das sich viel zu lange mit Kreuzzügen und Hexenverbrennungen aufgehalten hat. Dafür spricht, dass die Wirtschaft in der Türkei erst mit dem Regierungsantritt der AKP anfing zu boomen.

Theorie 2: 70 Jahre sowjetischer Sozialismus haben deutlich mehr kaputtgemacht als in den 30 Jahren danach wieder repariert werden konnte, infrastrukturell wie mental. Dafür spricht, dass auch Ostdeutschland und –europa die in den sozialistischen Jahrzehnten entstandene Lücke zum Westen noch nicht wieder schließen konnten.

Theorie 3:
Die Kernländer der ehemaligen Großmächte Osmanisches Reich (Türkei) und Persisches Reich (Iran) sind einfach nach wie vor die beherrschenden Großmächte – wer sich im nationalistischen Taumel unabhängig erklärt hat, hat das darwinistische Prinzip einfach nicht verstanden und ist wirtschaftlich weiterhin von seinem ehemaligen Mutterstaat abhängig. Dafür spricht die sehr gute wirtschaftliche Situation von Österreich inklusive der Dominanz österreichischer Unternehmen auf dem Balkan. Zum Sonderfall Russland siehe Theorie 2.

Nein, das war jetzt natürlich nicht ernst gemeint. Auch wenn vielleicht ein Funke Wahrheit drinsteckt. Ich freue mich auf jeden Fall, dass ich solche unsinnigen Gedanken jetzt endlich wieder während der Fahrt zu Papier bringen kann, weil es endlich wieder gute Busse und Straßen gibt.

Im Busbahnhof von Astara

VIP kann ich lesen. Und Volvo. Alles andere, was hier so auf den Scheiben klebt und blinkt, ist persisch und somit für mich nicht zu entziffern.

Wir sitzen noch immer im Busbahnhof von Astara. Ein Raum von vielleicht 30 auf 10 Metern, mit etwa 10 Menschen. Mit ziemlich hässlichen Bodenfliesen. Und mit sechs verschiedenen Verkaufsräumen. Einer davon verkauft Mineralwasser und Motoröl, die anderen fünf vermutlich Bustickets. So einfach ist es aber nicht, ein Ticket in die Hauptstadt Teheran zu kaufen. Niemand spricht englisch, niemand scheint so richtig motiviert zu sein. Der Erste schickt uns zum Nächsten, der Nächste schickt uns zum Übernächsten. Würden nicht drei echte Busse hinter dem Gebäude stehen – die ersten richtigen Überland-Linienbusse seit der Türkei –, ich würde das Ganze für eine Busbahnhof-Attrappe halten. Einer sagt, dass sein Bus um 12 Uhr nach Teheran startet. Genau derselbe erklärt später, dass sein Bus erst um 19 Uhr fährt. Ein anderer sagt, dass sein Bus um 11 Uhr nach Teheran fährt. Da ist es gerade 10:47 Uhr. Passt doch perfekt! Schnell zwei Tickets kaufen (Markus) und ein bisschen Proviant organisieren (Arnika), dann geht’s los. Arnika – seit der Grenze vorschriftsmäßig unter einem Kopftuch versteckt – muss sich zwar vom Bäcker mit „Heil Hitler!“ begrüßen lassen, kriegt das mit dem Proviantkauf aber hin. Ich das mit dem Ticketkauf nicht. Der unsympathische Fettwanst vom Verkaufsschalter bestimmt, dass ich in der Halle sitzen bleiben soll, er hat anscheinend noch keine Lust auf Fahrkartenverkauf.

Um 11 Uhr fährt dann tatsächlich ein Bus. Was sollen wir machen, einfach ohne Fahrkarte einsteigen? Nein, denn der Bus fährt anscheinend gar nicht nach Teheran Der nächste Bus nach Teheran soll jetzt plötzlich erst um 13 Uhr starten. Aber kann ich dann jetzt wenigstens ein Ticket kaufen? Ich kann, wenn auch ständig unterbrochen von lautstarken Diskussionen und scheinbar willkürlichen Geldscheinübergaben. Der Dickwanst vom Ticketschalter drückt mir irgendeinen komischen Zettel in die Hand. 10 Minuten später kassiert er 700.000 Real, deutlich unter 20 €, von mir. Nach dem Bezahlvorgang druckt und stempelt er verschiedene Zettel, aber keinen davon gibt er mir. Soll doch der Zettel von vorhin schon der Fahrschein sein? Ich habe keine Ahnung, was da draufsteht. Ich frage einen anderen mutmaßlichen Kunden, der scheinbar ein bisschen Englisch kann. Er bestätigt glaube ich, dass das ein Ticket nach Teheran ist und tippt in seine Smartphone-Tastatur „13.30“. Jetzt soll der Bus also erst um 13:30 Uhr fahren? Das wären noch über zwei Stunden. Aber besser als 19 Uhr. Wir beschließen, im Busbahnhof zu bleiben und zu schauen, was passiert. Bislang noch nichts.

Welcome to Iran (Astara)

Der heutige Vormittag war ein rechtes Abenteuer. Nach der bequemen Nachtzugfahrt am Kaspischen Meer entlang – wobei mir unser allzu gesprächiger Abteilgenosse schon ein bisschen auf den Sack ging – haben wir unser letztes aserbaidschanisches Geld dafür ausgegeben, mit dem Taxi zur Grenze zu fahren. So wie alle anderen Zugfahrgäste auch mit einem Taxi zur Grenze gefahren sind. Würde man einfach den Zug drei Kilometer weiterfahren lassen – die Gleise dafür liegen bereit –, wäre wohl das halbe Dorf arbeitslos. So sind die Dorfbewohner alle Taxifahrer. Und ich bin endlich mal mit einem Lada gefahren. Und zwar mit dem schnellsten von allen: Trotz anfangs nicht befestigter Straße, großen Schlaglöchern und dem reifen Alter des Fahrzeugs haben wir alle anderen Taxis überholt und abgeschüttelt.



An der aserbaidschanisch-iranischen Grenze blieb noch genug Fußweg übrig, um ins Schwitzen zu kommen. Es war nämlich auch schon am frühen Morgen extrem heiß. Beide Länder führen ein ganz schönes Theater auf, mit Rucksack scannen (sinnloserweise sowohl bei der Ausreise aus Aserbaidschan als auch direkt danach bei der Einreise in den Iran), Gürtel ausziehen und Visum vorzeigen (auch bei der Ausreise! Trotz Einreisestempel wurde nochmal das Visum kontrolliert, zum Glück hatte ich noch eine ungefähre Ahnung, wo ich den Zettel hingepackt hatte). Im Iran gab es für uns beide dann eine kleine Sonderbehandlung, wo ich all die Fragen, die ich im Visumantrag bereits beantwortet hatte, nochmal beantworten durfte. Und zwar nur ich, die Frau spielt seit dem Grenzübertritt keine Rolle mehr. Der Grenzbeamte hat Beruf, Reiseroute etc. handschriftlich (natürlich von rechts nach links) notiert, bevor ich dann („Welcome to Iran!“) per Handschlag im Land begrüßt wurde – auch den Handschlag gab es nur für mich.

Im Jahr 1379 des islamischen Kalenders angekommen warteten vor dem Grenzzaun dann die ersten iranischen Eindrücke auf uns. Diese Eindrücke hatten entweder ein Geldbündel oder einen Taxischlüssel in der Hand und haben mich so penetrant begrapscht (auch wieder nur mich), dass sie von mir erst recht nichts gekriegt haben. Wir hatten ja weder aserbaidschanisches noch iranisches Geld, sodass sie uns eh nicht weiterhelfen konnten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch gehofft, dass uns ein Geldautomat weiterhelfen würde. Viele Schweißtropfen und acht Geldautomaten später war klar, dass uns Geldautomaten im Iran nicht weiterhelfen. Ein erstes Indiz für die internationalen Sanktionen. Wir standen also ohne Geld und ohne die geringste Ahnung, wo der Busbahnhof ist mit unserem schweren Gepäck irgendwo in der Hitze von Astara. Bis uns ein plötzlich auftauchendes Exchange Office (zum Glück hatten wir noch Euroscheine dabei!!) und ein Taxifahrer (es waren wirklich noch 5 Kilometer bis zum Busbahnhof, die 50 Cent für die Taxifahrt haben sich also gelohnt) gerettet haben. Jetzt sitzen wir als einzige Ausländer im wenig einladenden Busbahnhof von Astara und harren der Busse, die da fahren. Welcome to Iran!