Montag, 28. August 2017

Feels like Transsibirische Eisenbahn (Jerewan - Tbilisi)

Manuel fragt, ob er mal fünf Minuten die Abteiltür schließen darf, um zu testen, ob dann eine Kühlung bzw. Klimatisierung funktioniert. Darf er. Bringt aber nichts. Also nach fünf Minuten der Beschluss, die Abteiltür wieder zu öffnen, damit wir wieder auf der anderen Gangseite aus dem Fenster schauen können. Der Beschluss ist gefasst – aber es hapert an der Umsetzung: Die Tür klemmt. Oder sie ist kaputt. Oder was auch immer. Auf jeden Fall haben wir uns eingesperrt und kommen nicht mehr raus. Jeder darf mal probieren, keiner kriegt es hin. Am Ende hilft nur klopfen und rufen. Schließlich kommt der Schaffner und befreit uns. Und ermahnt uns auf Russisch oder Armenisch oder irgendeiner anderen Sprache, von der wir kein Wort verstehen.

 

Die vier Idioten, die scheinbar die Tür kaputt gemacht haben, kriegen ab sofort eine Sonderbehandlung und dürfen vom Schaffner keine Freundlichkeit mehr erwarten. Stattdessen können wir uns nun wieder darauf konzentrieren, die trockene Landschaft vor dem Fenster zu betrachten und die wunderbaren Tage in Armenien zu rekapitulieren. Und zu schwitzen.
Irgendwann heute Abend werden wir die georgische Grenze überqueren – direkt weiter nach Aserbaidschan geht ja nicht, die armenisch-aserbaidschanische Grenze ist dicht. Bis Georgien erwarten uns noch einige Schienenstöße, Kurven und Zwischenhalte. Der alte Liegewagen sowjetischer Bauart weckt Erinnerungen an die Transsibirische Eisenbahn. Der Blick aus dem Fenster erinnert an die vergangenen Tage. Der Blick auf die Supermarkt-Tüten erinnert daran, dass ich schon wieder Hunger habe.


Noch vor Gjumri blicke ich aus dem linken Fenster auf eine Moschee. Moment mal, eine Moschee? Wir sind doch in Armenien?! Da haben wir in den letzten vier Tagen vieles gesehen, aber nicht eine einzige Moschee. Ein Blick auf die Landkarte, ein bestätigender Blick auf das GPS-Gerät – tatsächlich: Die Moschee befindet sich bereits in der Türkei, wir fahren ganz nahe an der türkischen Grenze entlang. Auch die Ruinen von Ani, die uns vor zehn Tagen (gefühlt vor einem Monat) so begeistert hatten, waren gerade nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt. Aber beides, sowohl die Moschee als auch Ani, ist nur über einen langen Umweg via Georgien erreichbar – beziehungsweise für Armenier überhaupt nicht.


Vanadzor, die drittgrößte Stadt des Landes, wirkt aus dem Zugfenster wie eine einzige große Industrieruine. Der primäre Sektor holt sich die Flächen des sekundären Sektors zurück: Das Pferd, das durch ein stillgelegtes Stahlhütten-Gelände spaziert, ist eines der letzten Lebewesen, die wir heute sehen. Es ist schon fast dunkel, von der schönen Landschaft und den schönen Klöstern rund um Alaverdi kriegen wir leider nicht mehr viel mit.

Das letzte Erwähnenswerte auf der Fahrt nach Tbilisi ist der Grenzübergang: Der armenische Zöllner setzt sich zu uns ins Abteil und klappt einen Koffer auf, der sich als Hülle eines Laptops samt Scanner entpuppt. Er scannt unsere Pässe, wechselt ein paar nette Worte auf Deutsch mit uns und verabschiedet sich freundlich. Kurz darauf kommt der georgische Zöllner. Er ist genauso harsch und unfreundlich, wie wir es fast schon erwartet hatten. So viel Symbolik muss sein.

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