Sonntag, 27. August 2017

Der Genozid

Nach einem längeren, recht einsamen Fußweg durch die brütende Hitze erreichen wir endlich das Genozid-Museum. Und sind plötzlich nicht mehr alleine. Nur, dass alle anderen mit dem Reisebus bis fast vor die Eingangstür gefahren wurden.

Die Geschichte des Genozids samt Vorgeschichte und Nachwirkungen wird im Museum sehr gut und sehr ausführlich dargestellt. Der Museumsbesuch beschäftigt uns danach noch eine Weile und regt zu Diskussionen an. Wir haben ja in den letzten Tagen schon gemerkt, dass sich jede Nation auf dem Kaukasus ihre eigene Nationalgeschichte bastelt. Nationalgeschichten, die sich zwangsläufig zum Teil widersprechen. Und man weiß natürlich nicht, wem man glauben kann. Natürlich war die Vertreibung und Ermordung der Armenier im 1. Weltkrieg mehr als „nur“ ein Kriegsverbrechen. Die Absicht, ein ganzes Volk wortwörtlich in die Wüste zu schicken, impliziert ja schon die Erwartung, dass dieses Volk entweder auf dem Weg dorthin oder spätestens in der Wüste umkommen wird. Das ist ein Völkermord. Punkt, aus, basta. Nach dem Besuch des Genozid-Museums hat auch der Letzte verstanden, dass es sich 1915 um einen Genozid gehandelt hat. Aber genau das ist glaube ich das Problem, das ich mit dem Museum habe: Es ist nach meinem Geschmack ein kleines bisschen zu sehr darauf ausgelegt, dem Besucher zu vermitteln, dass es sich um einen Genozid gehandelt hat. Dass alle Armenier lieb und alle Türken böse sind. Klar, eine Versöhnung wäre in diesem Fall schon in erster Linie Aufgabe der Türken. Aber die Armenier könnten in ihrem Museum ja zumindest erwähnen, dass einzelne Armenier gemeinsam mit den Russen gegen die Osmanen, also gegen das eigene Land, gekämpft haben. Was die Türken natürlich provoziert hat. Komplett schwarz-weiß ist nicht einmal der Türkei-Armenien-Konflikt, mag das türkische Geschichtsverständnis auch noch so lächerlich und widerlich sein.

Nach dem Besuch des Genozid-Museums in Jerewan erscheint mir die EU einmal mehr als ein großer Segen. Der dafür sorgt, dass in Europa Frieden herrscht und nicht wie auf dem Kaukasus alle gegen alle argumentieren, polarisieren und kämpfen. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel erscheint gar wie ein Wunder, wenn man es mit dem Verhältnis zwischen Türkei und Armenien vergleicht. Man mag sich gar nicht vorstellen, dass Deutschland den Massenmord an den Juden nicht anerkennen und Israelis die Einreise nach Deutschland verweigern würde. Aber ungefähr so ist der Umgang der Türkei mit Armenien. Wenngleich ich die ständigen Holocaust-Vergleiche im Genozid-Museum fast schon anmaßend fand. Und ein bisschen finde ich auch nach wie vor die Genozid-Anerkennung durch den Deutschen Bundestag im Juni 2016 anmaßend, wenn man die unrühmliche Rolle Deutschlands beim armenischen Völkermord bedenkt. Im Prinzip ist es ja aber auch egal, was Deutschland zu dem Thema sagt und was ich zu dem Thema denke – wichtig für die armenische Volksseele und die türkische Glaubwürdigkeit wäre vor allem, dass die Türkei den Genozid endlich als solchen anerkennt.



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