Mittwoch, 16. August 2017

Atatürks Ankara und Erdogans Istanbul

Die Zugfahrt von Istanbul nach Ankara erscheint im Nachhinein wie die Fahrt von Erdogan zu Atatürk. Eine Fahrt von Islamismus zu Laozismus. Von der wirtschaftlichen Wiedergeburt der 0er Jahre in die kulturelle Neuausrichtung der 1920er Jahre. In Istanbul habe ich ein bisschen mein Herz verloren und außerdem mein Duschbad. In Ankara werde ich mein Herz nicht verlieren, dafür ist die Stadt einfach zu hässlich. Aber mein Herz blutet, wenn ich daran denke, dass das Erbe Atatürks, das in Ankara noch in Reinform erhalten ist, von der AKP Schritt für Schritt zerstört wird. Diese lässige Auslegung des Islam, wo Frauen alles durften außer am Arbeitsplatz ein Kopftuch zu tragen; diese gastfreundliche Offenheit; Pressefreiheit und Demokratie; Börek und Bier, Pide und Pamukkale. Die Türkei hatte lange vor Angela Merkel die erste Ministerpräsidentin; die Türkei ist Deutschland seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden; die Türkei hatte bis zur Wahl von Angela Merkel und Nikolas Sarkozy eine faire Chance auf einen EU-Beitritt. Ohne Atatürk hätte es das alles nicht gegeben. Mit Erdogan wird es vieles bald nicht mehr gegeben.

Der Zustand des von Tauben umzingelten und zugeschissenen großen Atatürk-Denkmals in Ankara symbolisiert für mich den derzeitigen Umgang mit seinem politischen Erbe. Und ich neige dazu, ganz Ankara – das 30.000 Einwohner hatte, als Atatürk begann, es mit der Hilfe deutscher und österreichischer Architekten und Stadtplaner zur neuen Hauptstadt zu entwickeln –, als an Bedeutung verlierend zu beurteilen. Erdogan gefällt bekanntlich Istanbul besser, wo er in den 90er Jahren Bürgermeister war. Und von wo aus große Weltreiche regiert wurden und nicht „nur“ die Türkei. Folglich werden der größte Flughafen der Welt, die Eisenbahnbrücke mit längsten Spannweite der Welt (die 2016 eröffnete Dritte Bosporusbrücke) und quasi jedes Jahr eine neue U-Bahnlinie in Istanbul gebaut und nicht in Ankara. Während Istanbul glänzt, bröckeln in Ankara die Gehsteige, die U-Bahnhöfe sind hässlich und die meisten Häuser auch.

Das von Tauben umzingelte und zugeschissene große Atatürk-Denkmal

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