Donnerstag, 31. August 2017

Die Hauptstädte des Südkaukasus

Nun haben wir also die drei Länder des Südkaukasus – Armenien, Georgien und Aserbaidschan – und ihre Hauptstädte – Jerewan, Tbilisi und Baku – kennengelernt. Der Geograph in mir neigt dazu, die drei Städte miteinander zu vergleiche: Alle drei haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt, alle drei sind das uneingeschränkte Zentrum ihres Landes und zugleich keinesfalls repräsentativ für den Rest des Landes. Alle drei sind von starken Disparitäten zwischen schickem Zentrum und armen Vorstädten geprägt, wobei mir die Unterschiede in Baku – wo die Innenstadt besonders konsequent herausgeputzt ist und die Vorstädte besonders unangenehm heruntergekommen sind – am krassesten erschienen. Was in Baku die Segregation zwischen arm (Vorstädte) und reich (Innenstadt), ist in Tbilisi die Segregation zwischen Touristen (Zentrum) und Einheimischen (Vorstädte). Im deutlich weniger touristischen Jerewan könnte es eine Segregation zwischen Diaspora-Armeniern (die die Innenstadt finanziert haben und nutzen) und einheimischen Armeniern (die sich nur die Vorstädte leisten können) sein. Alle drei Städte verfügen über eine U-Bahn aus sowjetischer Zeit, wobei die in Baku am besten und modernsten ausgebaut ist, während die in Jerewan mit Krediten am Leben erhalten wird. Baku liegt am Meer, Tbilisi liegt in einem Kessel, Jerewan liegt auf einem Hochplateau. Die Altstadt von Baku ist aus hellem Sandstein erbaut, die Altstadt von Jerewan aus dunklem Tuffstein, die Altstadt von Tbilisi aus Holz. Die schönste der drei Städte ist Baku, die spannendste Tbilisi und die mit Abstand sympathischste Jerewan. So zumindest mein subjektiver Eindruck. Es lohnt sich auf jeden Fall, die drei Städte zu bereisen und sich eine eigene Meinung zu bilden.

No pictures! (Baku)

Es war heute in Baku verdammt heiß. Trotzdem bin ich mit der Stadt irgendwie nicht warm geworden. Wunderschön ist die Stadt. Aber nicht unbedingt sympathisch. Die Gegensätze zwischen Innen- und Außenbezirken sind eher erschreckend als interessant: Hier zu Tode sanierte Altstadt- bzw. Altbausubstanz, dort Armut, unsanierte Plattenbauten und unangenehme Gerüche. Hier noble Restaurants mit dem höchsten Preisniveau der bisherigen Reise, dort Menschen, die in Mülltonnen nach Essbarem suchen. Die Milliardeneinnahmen aus dem Öl- und Gasexport kommen offensichtlich nicht überall an. 

Hätte ich mir nur die Alt- und Innenstadt angeschaut, dann wäre ich auch völlig erschöpft von der absurden Hitze und vollends genervt, vor allem von den penetranten Taxifahrern. Da ich aber unbedingt mit der U-Bahn (leider gibt es auch in Baku weder Straßenbahnen noch einen Buslinienplan, sodass Fortbewegung an der Oberfläche eher schwierig ist) in die Außenbezirke fahren wollte, bin ich zusätzlich um eine Anekdote reicher: Von sämtlichen U-Bahnstationen in Baku ist nur eine einzige oberirdisch, Bakmil. In sämtlichen U-Bahnstationen in Baku herrscht Fotografierverbot – was sehr schade ist, weil sowohl die sowjetische Architektur als auch die zugehörigen Züge durchaus attraktiv sind. Aber einen oberirdischen Bahnhof kann und darf man ja von außen aus einiger Entfernung fotografieren. Dachte ich. Der Polizist war anderer Meinung. Er taucht plötzlich aus dem Nichts auf, ruft und winkt mich zu ihm. Und textet mich zu. Ich verstehe kein Wort, aber die Geste, dass man hier nicht fotografieren darf, ist klar. „Do you speak English?“, frage ich, um ihm zu signalisieren, dass ich ihn nicht verstehe. – „No, because I’m Russian.“ Alles klar. Ein potenzieller U-Bahnfahrgast wird als Dolmetscher herangezogen. Es bleibt leider nicht bei der Ermahnung, ich muss die Fotos löschen. Es war ein schönes dabei… Ich frage, warum man U-Bahnhöfe eigentlich nicht fotografieren darf. „Because it’s the government.“ Alles klar. Ich stelle keine weiteren Fragen und bedanke und entschuldige mich. Der Übersetzer begleitet mich auf den Bahnsteig und fängt dort an, sich für mich zu interessieren. Ich bin Tourist? Woher? Was mach ich in dieser Gegend der Stadt, wo es hier doch überhaupt nichts Interessantes zu sehen gibt?
Ich versuche mir meinen Verdacht, dass es sich um die Befragung durch einen Zivilpolizisten handeln könnte, nicht anmerken zu lassen. Die extrem hohe Dichte an Polizei- und Sicherheitspersonal in Baku erhöht nicht mein Sicherheitsgefühl, sondern meine Paranoia. Was will diese Diktatur von mir? Ich beantworte alle Fragen, verschweige aber bei der Reiseroute den Armenien-Aufenthalt. Ich will mich nicht noch verdächtiger machen, indem ich berichte, dass ich beim verhassten Kriegsgegner war.

Allmählich entwickelt sich ein echtes Gespräch und er gibt mir auf dem Stadtplan ein paar Empfehlungen, wo es sehenswert ist. Ich bedanke mich für die tatsächlich hilfreichen Hinweise – aber werde an der nächsten Station natürlich trotzdem erstmal in die Gegenrichtung umsteigen, weil ich da noch nicht war und ich den Wunsch habe, „alles“ zu sehen und nicht nur das, was die Touristen sehen sollen. Was ich ihm so natürlich nicht sage. Wahrscheinlich ist er wirklich nur ein netter Aserbaidschaner, der mir helfen wollte, und kein Geheimdienst- oder Polizei-Spitzel. Aber man kann ja nie wissen. In den nächsten Stunden werde ich auf jeden Fall ein bisschen genauer darauf achten, was ich fotografiere und wer mich dabei beobachtet und wer mir mehrmals begegnet.













(Picasa-)Fotos von Bakmil Station findet man übrigens in Google Earth. Die Koordinaten: 40°24'50.91"N; 49°52'44.17"E.

(Gepäck) aufgeben in Baku

„Wenn auf den Schließfächern draufsteht, dass sie kaputt sind, dann sind sie kaputt.“ „Vielleicht könnt ihr das Gepäck in der Shopping Mall abgeben.“ „Nein, hier in der Shopping Mall kann man kein Gepäck lagern.“ „Ja, es gibt hier in der Nähe ein Hotel. Aber das ist außer Betrieb.“
Da rotzen sie einen nagelneuen, vor Marmor glänzenden Bahnhof in die Stadt. Aber die Toiletten sind versifft und sämtliche Schließfächer kaputt. Niemand kann oder will uns weiterhelfen, die meisten sprechen eh nur Russisch. Willkommen in Aserbaidschan.

Als wir schon Pläne schmieden, die Stadt abwechselnd zu besichtigen, während einer immer beim Gepäck bleibt, zeigt ein Securitymensch – von denen gibt es hier deutlich mehr als Fahrgäste – ein Erbarmen und winkt uns ihm nach. Wir erwarten, dass wir das Gepäck in der Polizeistation lagern dürfen. Aber nichts da, er führt uns in eine Bar. „Station Express“ heißt die gute Stube, geschmückt ist sie mit denselben japanischen Zügen, mit denen schon die Bettwäsche im Nachtzug geschmückt war. Klimatisiert ist sie leider nicht. Unser Securitymann und der Barkeeper kennen sich, hinter dem Tresen ist jede Menge Platz für unsere zwei Rücksäcke, der Barkeeper hilft beim Verstauen. Voll lieb. So schaut Gastfreundschaft aus. Arnika überreicht den beiden zum Dank ein kleines Geschenk aus der Heimat, ich überlege, aus Dankbarkeit gleich hier einen Kaffee zu bestellen. Dann wendet sich das Blatt: Der Barkepper fragt „could you pay in advance?“

A-ha, nichts das gastfreundliche Geste à la Armenien, er will Geld dafür, dass wir die Rucksäcke bis heute Abend hier lassen können. Ist ja auch ok, für ein funktionierendes Schließfach hätten wir auch etwas bezahlt. Ein U-Bahnticket kostet 0,2 Manat, die Toilette im Bahnhof kostet 0,3 Manat, da wird die Gepäckaufbewahrung wohl auch nicht so viel kosten.

Er verlangt 20 Manat! Das ist ungefähr so viel Geld, wie wir beide (!) für die Nachtzugfahrt von Baku nach Astara zahlen. Es sind zwar „nur“ umgerechnet 10 Euro, aber für aserbaidschanische Verhältnisse ist das ein halbes Vermögen. Dass sich Barkeeper und Wachmann jetzt schön teilen können… So sieht Abzocke aus. So sieht Korruption aus. Und wir können nichts anders machen, als uns dafür bedanken, sonst sehen wir unsere Rucksäcke vielleicht nie wieder. Einen schriftlichen Beleg dafür, dass wir sie in der Bar abgegeben haben, gibt es nämlich logischerweise nicht. Arschlöcher. Willkommen in Aserbaidschan…



Der schrecklichste Nachtzug der Welt (Tbilisi - Baku)

„The people in Georgia are so nice“, haben sie alle gesagt. „Georgier sind so gastfreundlich” hat es geheißen.

Es liegt wohl eine Verwechslung vor: Die, die das behauptet hatten, waren vermutlich in Atlanta, Georgia. US-Amerikaner sind ja wirklich meist sehr (gast)freundlich. In dem anderen Georgia, dem Georgien im Kaukasus, können sie nicht gewesen sein, sonst würden sie nicht so einen Unsinn behaupten. Georgier sind ruppig und unhöflich, sie fahren so Auto, dass „Harakiri“ eine harmlose Verniedlichung ist, und sie zocken dich ab, wo immer es geht. Hätten wir vorher nicht diese paradiesisch-übertriebenen Reisebeschreibungen gehört und gelesen, wir wären nicht so enttäuscht. Aber so – kann mir Georgien jetzt echt gestohlen bleiben. Man kann die schönste Landschaft der Welt haben – wenn man sie mit unfreundlichen Menschen vollpackt, fühlt sich der Gast trotzdem nicht wohl. Die fetten Omas, die mir in der U-Bahn fast die Beine abgeklemmt hätten; die Vollhonks von Marschrutka-Fahrern; die aggressiven Touren-, Taxifahrt- oder was-auch-immer-Verkäufer; so manch unfreundliche Kellnerin und bekiffter Hostel-Mitarbeiter; 100 % der Menschen in Batumi und 50 % der Menschen in Tbilisi – nein, Georgien wird uns nicht als Land der freundlichen Menschen in Erinnerung bleiben. Eher wie weiter oben beschrieben als eine Art Russland mit schöner Landschaft.

Den Vogel abgeschossen hat die furchtbare Schaffnerin in dem grauenhaften Nachtzug, auf dessen unbequemen Sitz ich gerade die langweilige Landschaft vor dem Fenster beobachte. Viel lieber würde ich noch schlafen – beim dreistündigen Grenzübergangszinnober heute Nacht ging das ja nicht –, aber die Schaffnerin hat mich bereits vor einer halben Stunde mit Verweis darauf, dass wir „in 20 Minuten“ in Baku seien, geweckt. Mein GPS-Gerät sagt mir, dass wir noch immer etwa 80 Kilometer von Baku entfernt sind. Und die Züge im Kaukasus sind nicht sonderlich schnell. Aktuell 24 km/h.



Zur Verteidigung Georgiens muss ich sagen, dass die Schreckschrauben-Schaffnerin auch Aserbaidschanerin sein könnte. Ich habe keine Ahnung, in welcher Sprache sie ständig irgendwelche Befehle erteilt, nachdem sie mich mal wieder an der Schulter gerüttelt hat. Auf jeden Fall hat sie Arnika verboten, sich auf den freien Platz mir gegenüber zu setzen und nervt den ganzen Waggon mit ihrer militanten Art. Auf dem Weg zurück von der Toilette musste ich vorhin im Gang warten, bis ein von der Schaffnerin dazu genötigter etwas träger Herr seine Bettwäsche fertig abgezogen hat. Und was macht dieses Arschviech von Schaffnerin? Scheißt mich an, dass ich gefälligst zu meiner Liege zurückgehen soll, obwohl sie ja sieht, dass der Gang vor mir nicht passierbar ist. Deutlich gereizt sagt ich zu ihr auf Deutsch „ich komm da nicht durch!“, woraufhin sie mich nachäfft und damit den alten Weibern um sie herum ein Schmunzeln entlockt. In dieses Arschgesicht müsste echt mal jemand reinschlagen.

Ich weiß gar nicht, was ich an diesem Nachtzug – 3. Klasse, also offener Liegewagen sowjetischer Bauart – am schrecklichsten finde: die Sumpfkuh von Schaffnerin; dass die Liege 20 cm zu kurz, aber gleichzeitig zu schmal ist, um ein Körperteil ausklappen zu können; dass die ganze Nacht das Licht nicht gedämmt wurde; dass die fette unfreundliche Oma die ganze Zeit gesungen/geschnarcht hat; oder doch die fehlende Kühlung auf dem georgischen Streckenabschnitt? Erst seit die aserbaidschanische Lok den Zug zieht, herrschen im Waggon erträgliche Temperaturen. Vorher hatten die Waggons im Bahnhof von Tbilisi – bei 37 Grad Außentemperatur – den ganzen Tag Zeit, sich aufzuheizen, was sie erfolgreich gemacht haben. Nach der Abfahrt keinerlei Besserung. Der Schweiß rann aus allen Poren und wer einen Luftfächer dabei hat, hatte ihn im Dauereinsatz. Die blöde Kuh von Schaffnerin zum Beispiel. Das T-Shirt, das ich gestern Abend anhatte, stinkt so sehr, wie noch nie ein T-Shirt von mir gestunken hat. Die Hose fühlt sich immer noch an, wie wenn ich reingepinkelt hätte. Was für eine grauenhafte Nachtzugfahrt. Aber hey: Sie haben uns nach Aserbaidschan einreisen lassen, obwohl wir vorher in Armenien waren – wobei sowohl die dicke Tante, die die Zolldeklarationen eingesammelt und sämtliche Rucksäcke aufgerissen hat als auch der junge Mann, der die Pässe eingesammelt hat, nicht darauf geachtet haben, dass ich was von der oberen Liege runtergereicht habe. Meinen Pass konnte Arnika nachreichen, meine Zollerklärung trage ich nach wie vor mit mir rum.

Bis sie in Baku ankommt, kann noch dauern. Wir fahren nach wie vor mit einer Geschwindigkeit von 24 km/h. Auf dem Laufband am Wagenende steht „we work to make your trip pleasant!“ Ich lach mich tot.


Mittwoch, 30. August 2017

Heerstraße statt Nachtzug (Stepanzminda)

Abgesehen von ein paar spontanen Planänderungen in Armenien (Stichworte Kaffeefahrt) haben wir uns bislang ziemlich genau an den Reiseplan gehalten, den wir uns in den letzten Monaten zusammengebastelt hatten, auch wenn wir nur bis inklusive Türkei vorgebucht hatten. Aber jetzt bricht das Kartenhaus doch zusammen: Der Nachtzug nach Baku gestern Abend war ausgebucht. Also schaffen wir es morgen nicht nach Aserbaidschan. Also schaffen wir es übermorgen nicht in den Iran. Also schaffen wir es nicht mehr nach Isfahan. Einen durchgehenden Bus nach Baku scheint es nicht (mehr) zu geben, einen Tagzug auch nicht. Also bleibt uns nur eine Lösung: länger in Georgien bleiben. Ein zweiter Tag in Tbilisi? Bei drückenden 37°C? Oder doch die aus Zeitgründen aus dem Reiseplan gestrichene Georgische Heerstraße wieder aufgreifen und nochmal hinauf in den Großen Kaukasus?

Wir haben uns für letzteres entschieden und warten gerade in Stepanzminda – das jeder nach wie vor Kazbegi nennt – auf die Abfahrt des Marschrutkas zurück nach Tbilisi. Hoffentlich startet es bald, der Nachtzug startet nämlich um 19:30 Uhr – und für heute haben wir ein Ticket gekriegt. Und hoffentlich ist der Fahrer nicht ganz so bekloppt wie der Vollhorst von der Hinfahrt. Der ist nach mehreren Beinaheunfällen, Vollbremsungen und Streits nach 2:25 Stunden Fahrzeit für 170 Kilometer Gebirgsstrecke in Stepanzminda angekommen und hat uns dort in die Freiheit entlassen. Beine, Rücken und Genick haben ein paar Minuten gebraucht, um nach dem Ausstieg aus der Konservendose wieder zu sich zu kommen. Der obere Rand des Fensters lag deutlich unter meinem Kopf, sodass ich mich für Blicke aus dem Fenster regelrecht verbiegen musste. Und in dieser grandiosen Hochgebirgslandschaft will man natürlich ständig aus dem Fenster blicken.



Stepanzminda liegt kurz vor der russischen Grenze. Für Touristen ist der Grenzübergang tabu, für uns ist die Heerstraße eine 170 Kilometer lange Sackgasse. Eine sehr schöne, serpentinenreiche Sackgasse, an deren Ende sich ein Blick auf den dritthöchsten Berg Georgiens, den 5.033 m hohen Mt’a Mqinvartsveri, bietet, der sich heute aber leider meist hinter Wolken versteckt. Die Straße ist überraschend gut ausgebaut – wir haben noch die schlechten armenischen Straßen in den Knochen – und die Unterwegsorte – darunter der angeblich bedeutendste Skiort Georgiens – sind überraschend hässlich und ausgestorben. Obwohl die Straße relativ stark befahren und die Grenze nach Russland zumindest für Einheimische wieder offen ist, ist hier vom Bauboom, den wir in anderen Landesteilen wahrgenommen hatten, nichts zu spüren.

In Stepanzminda selbst gibt es auch keinen großen Bauboom, aber einen – Tourismus sei Dank?! – auffallend modernen Baubestand. Schön ist der Ort nicht. Wir lassen die nervenden Taxifahrer und Schlepper schnell hinter uns und bewegen uns in Richtung der markant über dem Ort gelegenen Gergetier Dreifaltigkeitskirche. Als ich 400 Höhenmeter später oben ankomme, schwitze ich. Und freue mich. Über den schönen Ausblick, über die schöne Kirche – und darüber, dass ich nicht wie die meisten anderen mit einem überteuerten Geländewagen-Taxi hochgekommen bin, sondern auf einem schönen Wanderpfad durch ein ruhiges Seitental.





Ein durch ein Deckenfenster schräg in die Kirche einfallender Sonnenstrahl erzeugt im Inneren des Gebäudes eine geradezu mystische Stimmung. Die von oben runterhängenden Kronleuchter, die mit je einer brennenden Kerze bestückt die dahinter hängenden Heiligenbilder beleuchten, erzeugen ebenfalls eine ganz besondere Stimmung. Vielleicht ist es wirklich besser, dass man hier drin keine Fotos machen darf, sonst wäre die besondere Stimmung schnell kaputtgeklickt. Aber schade ist es trotzdem, dass ich jetzt niemandem zeigen kann, wie schön es hier war.

Nach dem steilen Abstieg treffe ich Arnika im einzigen schönen Biergarten des Ortes wieder. Der Betreiber scheint echt nett zu sein. Wir bestellen, was er uns empfiehlt – und lassen uns ordentlich abzocken. Am Ende verlangt er nämlich für Suppe und Salat 35 Lari, so viel wie für das Geschlemme gestern Abend in Tbilisi. Da hat er also mal wieder zwei Dumme gefunden. Ja, Georgien ist ein sehr schönes Land. Aber ein gastfreundliches Land? Am Arsch!





Wir erinnern uns mal wieder daran, dass man im Urlaub niemals etwas bestellen sollte, dessen Preis man nicht kennt. Aber es wird die letzte Abzocke in Georgien gewesen sein – unser verbliebenes Bargeld reicht nämlich gerade so für die Rückfahrt nach Tbilisi. Die hat mittlerweile begonnen und ist zum Glück deutlich bequemer und sicherer als die Hinfahrt.


Dienstag, 29. August 2017

Raus aus der Backpacker-Blase (Tbilisi)

Ja, Tbilisi – oder, wie man in Deutschland noch immer sagt: Tiflis – ist schön. Aber an sollte sich mit einem Besuch beeilen. Noch gibt es authentische und urige Ecken und Häuser. Noch gibt es ganze Straßenzüge, wo sich die Häuser nach jahrzehntelangem Verfall und mehreren Erdbeben gegenseitig stützen müssen. Noch gibt es sogar ein paar Einheimische in der Innenstadt. Aber der Umbau in ein Backpacker-Paradies ist in vollem Gange.





Die Infrastruktur, die Backpacker brauchen, um glücklich zu sein, ist schon da: Hostels, die alle so verdammt individuell eingerichtet sind, dass sie am Ende doch alle irgendwie gleich und austauschbar sind; Restaurants mit „typischer Landesküche“, die man mit Visa zahlen und auf Tripadvisor bewerten kann – und die alle ein so ähnliches Angebot weit über landesüblichem Preisniveau haben, dass es sich vermutlich um ein Kartell handelt, wenn nicht gar um eine mafiöse Struktur mit Diaspora-Pate; Geldautomaten braucht es für den Backpacker natürlich auch; und Minibus-Touranbieter zu den schönsten Orten des Landes; zusätzlich noch Geschäfte, in denen man „landestypische Produkte“ probieren und kaufen kann, die es seltsamerweise außerhalb dieser Backpacker-Oasen nirgendwo sonst im Land zu kaufen gibt; am besten dann noch einen Elektro-Club, in dem man mal „so richtig billig“ (für die Einheimischen sind die Getränkepreise vermutlich unerschwinglich) abfeiern und auf dem Heimweg die letzten verbliebenen Einheimischen aus dem Schlaf grölen kann.






Backpacker sind quasi Hipster auf Reisen. Und die brauchen nun mal viel Kaffee und viel Alkohol. Und regionales Essen. Darauf müssen sich die potenziellen Reiseziele vorbereiten. Die alte Eisenschmiede muss dann eben weichen, dass das schicke Café mehr Miete zahlen kann. Und der alte Einwohner auch, wenn das Hostel mehr Flächenertrag erwirtschaftet. Der Easyjetset hat weite Teile Amsterdams und Berlins in No-Go-Areas für Einheimische verwandelt und innerhalb weniger Jahre die meisten Innenstädte Mittelosteuropas monotonisiert. Dort gibt es jetzt überall Heineken und hübsch sanierte Fassaden, aber hinterher kann man gar nicht mehr genau sagen, in welcher Stadt das oder jenes Foto jetzt eigentlich entstanden ist.

Ich hatte gehofft, im Kaukasus gehe es noch abenteuerlich(er) und authentisch(er) zu. Geht es ja auch. Aber den Umwandlungsprozess der Innenstadt von Tbilisi finde ich erschreckend. Ähnlich wie schon in Mestia wird hier historische Bausubstanz vollständig abgerissen und durch Neubauten ersetzt, die den Touristen Authentizität vorgaukeln und Souvenirs verkaufen sollen. Na klar wäre eine Sanierung der erdbebenbeschädigten Altbauten aufwändiger als ein Neubau – so könnte man aber vielleicht doch noch den erhofften Welterbe-Status erhalten statt immer weiter wertvolles Kulturerbe zu zerstören. Klar war es für die Bewohner in den Altbauten ohne Wasseranschluss nicht so angenehm zu wohnen wie in den Neubauten – aber in den schicken Neubauten wohnen halt kaum mehr Alteingesessene.







Aber wo wohnen die Alteingesessenen? Wie sieht „das echte Tbilisi“ außerhalb der englischsprachigen Backpacker-Blase aus? Das wollte ich wissen, nachdem mich das Freilichtmuseum Altstadt bei aller Schönheit doch auch ein bisschen erschreckt hat. Deswegen habe ich mich heute Nachmittag drei Stunden lang von den anderen dreien entfernt und bin mit der U-Bahn in verschiedene Stadtteile gefahren, in denen ich jeweils der einzige Tourist war. Jetzt weiß ich, dass Tbilisi eine richtige Metropole ist – mit vielen Menschen, viel Beton und leider auch viel Armut. Jetzt weiß ich, wie überteuert die Preise im Zentrum sind und wie unrealistisch die dortige Bewohner-Zusammensetzung. Das Ausbrechen aus der Blase hat gut getan. Leider verfüge ich über keinerlei Sprachkenntnisse, um mit den Menschen in den Vorstädten ins Gespräch zu kommen. Aber wenigstens weiß ich jetzt, dass es sie gibt und wie sie aussehen. Keiner von ihnen hat mich angequatscht, keiner wollte mir eine Taxifahrt, einen überteuerten Obstbecher oder ein Abendessen verkaufen. Wie wunderbar entspannend es da draußen in der realen Welt doch ist.










Am Liberty Square verlasse ich über das Rolltreppen-Katapult die U-Bahn und betrete wieder die vertraute Backpacker-Blase. Ich verwandle mich wieder in einen reisenden Hipster, besorge mir standesgemäß einen Iced Latte und schließe mich der Gruppe an. Wir nehmen an einer Free Walking Tour teil. Sprich: Globalisierte Akademiker um die 30 führen globalisierte Akademiker um die 30 durch die Stadt. Es wird dabei nicht die Stadt der Einheimischen präsentiert, sondern das, was uns Hipster-Backpacker interessiert. Offiziell eine „Free“ Tour, inoffiziell zahlt man am Ende natürlich doch etwas dafür. Anders als eine offizielle Stadtführung gehen diese Einnahmen aber an der Steuer vorbei, sodass die Einheimischen überhaupt nichts von diesen Touren haben außer, dass die Touristen ihre Städte verstopfen. In unserem Fall war es nicht mal ein Einheimischer, der die Tour geleitet und die Einnahmen erhalten hat, sondern ein Spanier. Was irgendwie konsequent ist.

Bei aller polemischen Kritik meinerseits: Die Tour war wirklich interessant, wir haben ein paar Ecken kennengelernt, die wir sonst nicht gefunden hätten. Und die Erfahrungsberichte eines Spaniers, der seit kurzem in der Stadt wohnt, sind natürlich authentischer als das auswendig gelernte Stadtmarketing eines offiziellen Stadtführers. Außerdem haben wir ein paar andere Touristen und Neu-Tbiliser kennengelernt, zum Beispiel René aus Köln, mit der wir anschließend noch gemeinsam Abendessen waren. In einem wunderbaren, ganz und gar nicht touristischen georgischen Restaurant, das man über ein paar Treppenstufen nach unten betritt. Es hat uns so gut gefallen, dass man uns zur Sperrstunde quasi raustragen musste. Zum ersten Mal in diesem Urlaub haben wir zwei Bier an einem Abend getrunken (oh mein Gott, wir werden alt!). Leider haben wir das Bier zum letzten Mal in diesem Urlaub mit Manu und Mai getrunken, ab morgen früh fahren wir getrennte Wege und werden uns vermutlich erst in ein paar Monaten in Deutschland wiedersehen.